Gerste zählt zu einem der drei Rohstoffe, die für die Herstellung von Single Malt Whisky benötigt werden. Doch die Whisky-Branche verwendet nicht einfach irgendeine Gerste. Die Gerstensorten, die zum Einsatz kommen, werden speziell für die steigenden Anforderungen einer wirtschaftlichen Produktion gezüchtet. In dem Vereinigten Königreich gibt es sogar ein komplettes Gerstenzuchtprogramm, und ein sehr erfolgreiches noch dazu. Lassen Sie uns die Gerste mal genauer unter die Lupe genommen, einen Blick auf die Anforderungsprofile neuer Züchtungen werfen und auch den Weizen für die Grain-Destillerien näher betrachten.
Einleitung
Getreide ist ein bedeutsamer Rohstoff für die Whisky-Industrie. Die wichtigsten Getreiderohstoffe, die bei den Herstellern für Scotch Whisky zum Einsatz kommen, sind Gerste und Weizen, sowie – zu einem geringen Prozentsatz – Mais. Während Scotch Malt Whisky ausschließlich aus gemälzter Gerste hergestellt werden muss, verwenden die Grain-Destillerien zum größten Teil ungemälztes Getreide wie Weizen oder Mais. Für die Bereitstellung der wichtigen Enzyme (hauptsächlich Amylasen) zur Umwandlung der Stärke in der gesamten Maische in vergärbare Zucker, werden noch etwa 10 Prozent an Gerstenmalz mit hoher Enzymaktivität („Diastatic Power“) zugesetzt. Da Mais nur noch von einigen wenigen Grain-Brennereien verwendet wird, hat dessen Bedeutung im Laufe der Jahre stark abgenommen. In Schottland operieren derzeit etwa 134 Malt- und sieben Grain-Destillerien. Zusammen produzieren sie um die 820 Millionen Liter reinen Alkohol pro Jahr. Das ist eine beachtliche Menge. Aus diesem Grund sind die Brennereien auf eine nachhaltige und ausreichende Versorgung mit hochwertigem Getreide angewiesen, um die hohe Qualität, aber auch die Entwicklung und das Wachstum ihrer Produkte zu gewährleisten. Daher ist eine enge sowie gut funktionierende Zusammenarbeit zwischen der Branche und ihrer Lieferkette – von den Saatguterzeugern, Landwirten über die Getreidehändler bis hin zu den Mälzereien – von entscheidender Bedeutung für den wirtschaftlichen Erfolg.
Weizen
Zusammen mit Mais und Reis zählt Weizen zu den wichtigsten Getreidearten, die weltweit angebaut werden. Weizen gehört zur Pflanzengattung Triticum und wird, je nach der Intensität der roten Pigmentierung in der Samenschale, als roter oder weißer Weizen klassifiziert. Je nach der Bruchfestigkeit des Samens unterscheidet man zudem zwischen weich und hart und unterteilt – je nach der Eignung für Temperatur- und Umweltbedingungen – in Sommer- und Wintertyp. Für die Herstellung von Grain Whisky setzen die Brennereien seit 1984 weißen, weichen Winterweizen mit niedrigem Proteingehalt als Hauptstärkequelle ein. Diese Weizensorte ist die ertragreichste Getreideart in Großbritannien mit einer sehr großen Anbaufläche. Sie ist preiswert, lässt sich leicht verarbeiten und liefert eine akzeptable Alkoholausbeute. Winterweizen wird zwischen Ende September und November gesät und im darauffolgenden September geerntet. Ein zu hoher Stickstoffgehalt wirkt sich ungünstig auf die Alkoholausbeute aus, weshalb die Brenner nach stickstoffarmen Sorten Ausschau halten (siehe Abschnitt „Wenig Protein“). Inzwischen ist die Verwendung von Weizen in der Branche fest etabliert, da fünf der sieben schottischen Grain-Destillerien derzeit ihn als Hauptgetreiderohstoff anstelle von Mais verwenden. Weizen macht etwa 90 Prozent der gesamten Maische aus. Er wird in der Regel gemahlen und erhitzt, bevor er auf Maischetemperatur abkühlt und mit ungefähr 10 Prozent einer enzymreichen Braugerste versetzt wird, die die Stärke in gärfähige Zucker umwandelt. Für die Grain-Destillerie ist ein gleichbleibend hoher Alkoholertrag der Weizensorte von großer Bedeutung, da angesichts der riesigen Produktionsmengen selbst ein kleiner Unterschied im Alkoholertrag zwischen den Sorten einen potenziell großen Alkoholverlust bedeutet. Der jahrelange Marktführer, die Sorte „Riband“, wurde inzwischen von Winterweizensorten mit verbesserten agronomischen Eigenschaften und gesteigerten Alkoholerträgen, wie „Viscount“, sowie der neueren Sorte „LG-Skyscraper“ überholt bzw. verdrängt.
Gerste
Die Gerste zählt zur Familie der Süßgräser und umfasst etwa 25 verschiedene Arten. Sie steht heute an vierter Stelle der bedeutendsten Getreidepflanzen weltweit. Gerste ist hauptsächlich auf der Nordhalbkugel zu finden, wo sie in einem kühlen, gemäßigten Klima gut gedeiht. Ihr Anbau überstreckt sich zudem vom äquatorialen Hochland bis hin zu südlichen Breitengraden. Die Gerste stellt nur geringe Ansprüche an den Boden und gilt als wahrer Anpassungskünstler unter den Nutzpflanzen. So eignen sich auch das englische und schottische Klima für den Anbau von Qualitätsgerste – insbesondere die Ostküste Schottlands, wo beste Bedingungen vorherrschen. Im Allgemeinen wird zwischen Sommer- und Wintergerstensorten unterschieden, deren Unterteilung auf die verschiedenen Zeitpunkte der Aussaat zurückzuführen ist. Während die Winterform im Herbst ausgesät und im Frühjahr des Folgejahres geerntet werden kann, erfolgt die Aussaat der Sommergerste im Frühjahr und kann bereits nach einer Reifezeit von weniger als 100 Tagen wieder geerntet werden. Des Weiteren unterteilt man Gersten anhand ihrer unterschiedlichen Ähren in zwei- und mehrzeilige Formen, wobei zweizeilige Gerstensorten (ein Korn pro Ansatzstelle) größere Körner und mehrzeilige Formen (drei Körner pro Ansatzstelle) in der Regel kleinere Körner bilden. Die meisten der derzeit für Malt Whisky verwendeten Gerstensorten sind zweireihig. Verglichen mit der Sommergerste erzielt die Wintergerste zwar einen höheren Ertrag pro Acre (angloamerikanische Maßeinheit, entspricht etwa 0,4 Hektar), benötigt jedoch mehr Wärme sowie Wasser und einen längeren Zeitraum bis zur Reife. Wintergerste wird überwiegend als Futtermittel für Tiere verwendet. Ihr Einsatz zur Malzherstellung ist in den letzten 30 Jahren stetig zurückgegangen, so dass die Whisky-Brennereien immer mehr die Sommergerste bevorzugen. Der Grund dafür liegt darin, dass sie in der Regel einen höheren Stärkegehalt aufweist. Dieses Argument ist für die Brenner ausschlaggebend. So entfiel in Schottland im Jahr 2020 mit 55 Prozent mehr als die Hälfte der Getreideanbaufläche auf Sommergerste, was einer Steigerung um sieben Prozent im Vergleich zum Vorjahr gleichkam.
Wenig Protein
Die Brennereien sind stets auf der Suche nach modernen Gerstensorten, die sich einerseits leicht zu hochwertigem Malz verarbeiten lassen und auf der anderen Seite zu einem hohen Alkoholertrag führen. In der Regel handelt es sich dabei um stickstoffarme Sommergersten, da sie Malz mit einem hohen Gehalt an vergärbaren Zuckern und damit viel Alkohol liefern. Stickstoffarm bedeutet, dass die Gerste wenig Proteine besitzt. Die Proteine, man nennt sie auch Eiweiße, bestehen aus Aminosäuren. Allen Aminosäuren gemein ist die Anwesenheit von mindestens einem Stickstoffatom im Molekül. Der Gehalt an Stickstoff kann analytisch bestimmt werden, und mit diesem lässt sich auf die Proteinmenge im Gerstenkorn zurückschließen. Es gilt die Faustregel, dass sich die Stickstoffmenge umgekehrt proportional zum Stärkegehalt im Gerstenkorn verhält. Gerste mit einem hohen Stickstoffgehalt besitzt weniger Stärke, diejenige mit einem niedrigeren Stickstoffgehalt enthält mehr Stärke und liefert damit eine höhere Alkoholausbeute. Der Proteinanteil darf jedoch nicht zu niedrig sein, da Proteine wichtige Nährstofflieferanten für die Hefe darstellen, damit diese ausreichend wachsen und optimal arbeiten kann. Der ideale Stickstoffgehalt in der Gerste liegt demnach zwischen 1,4 und 1,6 Prozent. Denn dies entspricht einem Proteinanteil von ungefähr 10 Prozent und einem hohen Stärkegehalt von etwa 90 Prozent im Gerstenkorn.
Kein EPH
Ein wichtiger Parameter, den man unbedingt im Auge behalten muss, ist der Anteil an sogenannten cyanogenen Glykosiden in der Gerste, zu denen eine Substanz mit dem Namen Epiheterodendrin (EPH) zählt. EPH ist ein Naturprodukt. Es an der natürlichen Abwehr gegenüber Pflanzenfressern und Krankheitserregern beteiligt und bei bestimmten Gerstensorten in hohen Mengen im Blattgewebe junger Keimlinge vorhanden. Über die Gerste und das anschließende Maischen des Malzes gelangt EPH in den Produktionsprozess von Whisky. Während der Gärung und der anschließenden Destillation bildet sich aus EPH Blausäure, die wiederum mit Ethanol in Gegenwart von Kupfer und Sauerstoff zu Spuren der gesundheitsschädlichen und potenziell krebserregenden Substanz namens Ethylcarbamat reagiert. Da die meisten Wintergerstensorten EPH enthalten, ist deren Verwendung für die Brennerei auf vernachlässigbare Mengen gesunken. Neue Sommergersten müssen also die zusätzliche Anforderung erfüllen, kein EPH zu produzieren, was die erfolgsversprechende Suche nach der nächsten „Supergerste“ erheblich komplizierter macht.
„Stairway to Heaven“
Gerstensorten mit diesen hohen Ansprüchen kommen in der Natur so nicht vor, sondern müssen eigens dafür gezüchtet werden. Die Grundlagen der modernen Pflanzengenetik lassen sich auf Gregor Mendel zurückführen, der mit seinen Experimenten an Erbsenpflanzen im 19. Jahrhundert Eigenschaften entdeckte, die durch Vererbung von einer Generation auf die nächste übertragen werden. Das Ziel des Pflanzenzüchters ist es heute, diese als Gene bezeichneten Vererbungseinheiten neu so zusammenzusetzen, dass Pflanzen mit einer Reihe von wünschenswerten Eigenschaften entstehen. Die besten Pflanzen werden ausgewählt, auf Versuchsparzellen angebaut und über mehrere Jahre hinweg auf verschiedene Merkmale hin getestet. Dieses Programm ist unter dem phantasievollen Begriff „Stairway to Heaven“ bekannt. Es ist ein branchenübergreifendes Bewertungsprogramm des Malting Barley Committee (MBC) der Maltsters' Association of Great Britain, bei dem ein ganzes Konsortium von Züchtern, Landwirten, Mälzern, Brauern und Brennern die Gerstensorten bewertet und zulässt, die für die Mälzereien, Brauereien und Destillerien in England und Schottland geeignet sind. Zunächst wird in kleinen 500 Gramm Chargen gemälzt und untersucht, welche Gerstensorte die besten analytischen Werte für die Whiskyherstellung liefert. Danach wird weiter bis zu einer Größenordnung von 50 bis 200 Tonnen hochskaliert, wobei diese Mengen in einer kommerziellen Mälzerei und Brennerei verarbeitet werden. Am Ende muss dieser Ansatz noch von Gesetzgebern und Verbrauchern akzeptiert werden. Die neue Sorte erhält zunächst eine vorläufige Zulassung. Anschließend durchläuft sie einen bis zu zwei Jahre dauernden, kommerziellen Versuchszeitraum in einer Brennerei, bevor sie den Status einer vollständigen MBC-Zulassung erhält. In der Praxis ist dies ein komplexer, zeitaufwändiger und auch teurer Prozess. Man schätzt, dass bis zu eine Million Einzelpflanzen angebaut und bewertet werden müssen, um daraus eine einzige kommerziell erfolgreiche Gerstensorte zu entwickeln. Dies kann bis zu 15 Jahre dauern, ehe die neue Sorte auf den Markt kommt, und hohe Investitionssummen von mehreren Million Pfund verschlingen.
Von Golden Promise zu Laureate
Ausgezahlt haben sich Engagement, Hingabe und Ressourcen sowie die hohen Investitionskosten der Unternehmen bei früheren Gerstensorten, wie z. B. „Prisma“, „Puffin“, „Derkado“ und „Maris Otter“ bis hin zu „Golden Promise“ und „Chariot“. Dabei hat sich das Tempo, mit dem neuere Sorten frühere Generationen ersetzen, spürbar beschleunigt. Während die Züchtung mit dem klangvollen Namen „Golden Promise“ von Mitte der 1960er Jahre an etwa zwei Jahrzehnte lang die Vorherrschaft der Gerstensorten innehatte, hat „Optic“ im Jahr 2000 den bisherigen Spitzenreiter „Chariot“, dessen Marktanteil Mitte der 1990er Jahre noch bei 45 Prozent lag, von der Spitze verdrängt. Und während in den 2000er Jahren auf den schottischen Feldern noch die Gerstensorten „Optic“ sowie die nachfolgende Sorte „Concerto“ vorherrschten, ist die Whiskyindustrie inzwischen auf die ertragreichere Züchtung „Laureate“ umgestiegen. Diese erhielt 2017 die volle MBC-Zulassung und hält derzeit über 50 Prozent des britischen Marktes für Sommergerste. Doch „Laureate“ bekommt ihrerseits Konkurrenz von den Neuzüchtungen „LG Diablo“ und „KWS Sassy“, deren Marktanteile bereits ansteigen.
Ertrag versus Qualität
Bei den Versuchen nach immer mehr widerstands- und leistungsfähigeren Gerstensorten steht ganz klar der Ertrag im Vordergrund. Der Ertrag für die Landwirte in Form von Erntemenge pro Acre und für die Brennereien in Form von Litern reinen Alkohols pro Tonne (LPA/t). Die Sorte „Optic“ zum Beispiel liefert rund 415 LPA/t, „Golden Promise“ dagegen nur 380 bis 395 LPA/t. Zwar sieht das Prüfprogramm für neue Gerstensorten eine Qualitätsuntersuchung des daraus hergestellten Spirits vor, jedoch wird dieser Qualität nicht die gleiche Bedeutung beigemessen wie dem Ertrag, da die Ansicht vorherrscht, dass die verschiedenen Gerstensorten keinen Einfluss auf den Geschmack des Spirits haben. Und hier genau liegt das Problem für einige Brennereien. Denn sie sind der Meinung, dass der Geschmack und die Qualität des Spirits zunehmend dem Ertrag dieser neuen Hochleistungs-Gerstensorten gewichen sind. Für sie sind neben den üblichen Getreide- und Biskuit-Noten diese Neuzüchtungen nicht mehr in der Lage, spezifische Aromen oder Geschmacksrichtungen in den Spirit einzubringen. So ist ein interessanter Trend zu beobachten, dass einige Produzenten vermehrt auf die früheren, bewährten Sorten – wie „Maris Otter“ oder „Golden Promise“ – zurückgreifen und wieder mehr Wert auf den Geschmack als auf den alleinigen Ertrag legen. Bestärkt wird ihr Handeln von der Wissenschaft. Denn jüngsten Ergebnissen einer Studie zufolge wirken sich die Gerstensorte und ihr geografischer Standort (Umwelt) sehr wohl auf den Geschmack des New Make Spirits aus, was den Einfluss des „Terroirs“ der Gerste bei der Herstellung von Single Malt Whisky bestätigt. Ob diese Erkenntnis zukünftig auch Einfluss auf die Auswahl neuer Gerstensorten haben wird, bleibt abzuwarten.